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Adventsstern gegen den wohlfeilen Tod


Ich habe zum Advent einen großen Papierstern ins Fenster gehängt.  Er ist innen beleuchtet. Wir wohnen an einer Straßenecke, – wenn es dunkel ist, kann man ihn weithin sehen, fast die ganze Straße hinunter. Festlich rot und schön!

Wer vorbeigeht, wird das vielleicht als anheimelnd empfinden, oder einfach als typische Festtagsdekoration.

Was man nicht sieht, ist der Zorn, die Trauer und der Trotz, mit denen ich den Stern in die Dunkelheit der Welt gehängt habe.

„Bitte haltet die Welt an. Es ist ein Mensch verloren gegangen.“ – Diese Twitter-Nachricht erreichte mich vor zwei Wochen. Die Schwester einer lieben Freundin hatte sich das Leben genommen. Depressionen. „Der Krebs der Seele“, wie jemand sagte, „unberechenbar, heimtückisch, tödlich.“

Vorsicht: Weiterlesen TRIGGERT möglicherweise suizidgefährdete Personen. Alle, die mit solchen Gedanken umgehen, bitte ich inständig, sich fachliche Hilfe zu holen und sich vertrauenswürdigen Menschen anzuvertrauen. Im Notfall führt dieser Link weiter: => Telefonseelsorge.

Stern

Fotos – ich kenne die Familie nicht – zeigen eine schöne junge Frau, unkonventionell, unternehmungslustig, freakig. Und dann das: Weiterlesen …

Urnengang


An meiner Pinnwand hängt der Liederzettel vom Gottesdienst am 1. Advent. Nicht der Lieder wegen, sondern wegen eines Termins, der auf den Rand gekritzelt ist. Dabei versuche ich eigentlich, mir im Advent alle unnötigen Termine von der Hacke zu halten.

Es ist eine Beerdigung.

Ich war beim Kirchenkaffee nach dem Gottesdienst mit dem Verwaltungschef unseres Stadtfriedhofes ins Gespräch gekommen. Er hätte, so sagte er, „wieder so eine Beisetzung“. Gemeint war eine behördlich angeordnete „Bestattung von Amts wegen“.

Es kommt immer öfter vor, dass Menschen versterben, ohne dass sich Angehörige um irgendetwas kümmern. Oder es gibt überhaupt keine Angehörigen. Dann hat die Kommune dafür zu sorgen, dass der Tote mit Anstand unter die Erde kommt. In der Regel wird er dann eingeäschert, kommt in eine einfache Metallurne und der Friedhofsgärtner gräbt sie auf einem anonymen Gräberfeld ein.

Urnengang2

Meist ein sang- und klangloser Akt. Meinem Gesprächspartner war das in dieser Form unsypathisch. Schon vor ein paar Wochen, als es um zwei verstorbene Katholiken ging, hatte er bei der zuständigen Kirchengemeinde um Hilfe für eine würdigere Bestattung angefragt. Der Diakon erklärte sich bereit, eine kleine Feier zu gestalten und – tres faciunt ecclesiam – ich kam einfach so mit.

So beteten wir zu dritt einen Psalm, die Namen der Verstorbenen wurden noch einmal genannt. Auf dem Weg zum Grab trug ich die Urne von Annemarie wie ein kleines Kind an die Brust gedrückt, – irgendeine Annemarie, von der ich nie etwas gewusst hatte. Keine Ahnung, ob die Polizei die Tür in einem Plattenbau öffnen musste, nachdem der Briefkasten lange nicht mehr geleert worden war. Oder ob man sie unter einer Decke im Wartehäuschen der Busendhaltestelle liegend fand. Oder ob sie bis zuletzt im Altenheim auf ein Lebenszeichen ihrer Kinder gewartet hatte. Egal, jetzt hatte unser Weg über den herbstlichen Friedhof etwas Freundliches, Friedliches.

Neben den Gruben lag ein Rosenstrauß. Der Diakon segnete die Gräber, noch einmal wurden die Namen im Gebet genannt, wir warfen Erde auf die Urnen. Vaterunser. Segen.

Es war gut. Es war sogar irgendwie schön.

Urnengang3Nur zwei mal „hakte“ die Agenda. Die Liturgie empfahl, im Stillen alles Unausgesprochene zwischen uns und den Toten abzulegen. Da gab es ja nichts. Und an diesen Gräbern wird auch niemand trauern. Nun, ich werde wohl an dem Jugendstildenkmal, das da in der Nähe steht, künftig einen Moment stehnbleiben, wenn ich da vorbeikomme. Das Grab meiner Eltern ist ja nur ein paar Schritt weiter.

So, und in dieser Woche wird es ein Evangelischer sein, der zu bestatten ist. Ich habe dem Pastor zugesagt, zu kommen. Einfach so. Es kostet mich ja nichts und ich habe die halbe Stunde Zeit.

Nein, ein Friedhofsjunkie bin ich nicht. Aber ich gehöre als Christ zu einer Gemeinschaft. Eine Gemeinschaft, die auch Menschen umfasst, die niemand mehr kennt. Und eine Gemeinschaft, die über den Tod hinaus geht. Das darf sichtbar sein.

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7.12.2017: Es waren nicht einer, sondern drei Angehörige der Evangelischen Kirche, die wir heute beigesetzt haben. Zwei davon so etwa in meinem Alter. Es war auch die Mutter eines der Verstorbenen anwesend, konnte sich aber nicht in unsere kleine Feier hineinfinden. Herb, wenn die Kinder vor den Eltern gehen…

Ich erfuhr, dass nur bei jeder zehnten solcher amtlich angeordneten Bestattungen gar kein Familienmitglied bekannt ist. Sonst sind es wohl familiäre oder finanzielle Probleme oder einfach ein distanziertes Verhältnis zum Thema Sterben und Tod, die zu solchen Situationen führen.

Offen ist auch noch die Frage, wie mit Konfessionslosen in solchen Fällen umzugehen ist. Kirchen haben ihre Rituale, aber Menschen, deren Weltanschauung niemand kennt, sollte man damit nicht vereinnahmen. Trotzdem, „gärtnerisch entsorgen“, also einfach nur die Urne in die Erde setzen und zuschaufeln, ist auch keine Lösung. Auch nicht für diejenigen, die solche Beisetzungen durchführen und dabei ein bischen Gespür im Leib haben, ist das unbefriedigend.

Beim Rückweg vom Grabfeld zum Büro der Friedhofsverwaltung kamen bei uns Gedanken in Bewegung, die noch nicht fertig gedacht sind.

Was würdest du tun, wenn du noch sechs Monate zu leben hättest?


Vorhin hatte ich mir hier auf Grund einer Blogparade Gedanken gemacht, wie wohl der letzte Tag meines Lebens aussehen könnte. Der letzte Tag, – da ist sicher fraglich, ob man da noch etwas bewusst gestalten könnte.

Aber was wäre, wenn man noch ein halbes Jahr hätte?

Dazu hatte ich in einem anderen Kontext mal etwas geschrieben. Als kleinen Impuls kopiere ich hier ein Zitat des langen Textes hierhin:

„[…] Damals [in den 80er Jahren] war gerade die AIDS-Problematik in den Medien aufgekommen. Die Berührungsängste, nicht nur mit HIV-Infizierten, sondern überhaupt mit der ganzen Thematik, waren groß. Es gab viel Aufklärungsbedarf. Ich hatte eher Zufällig die Gelegenheit, dazu an einem Seminar der Caritas teilzunehmen. Dort hatte einer der Workshops das Thema: “Was würdest du tun, wenn du wüsstest, dass du nur noch sechs Monate zu leben hättest?”

Wir haben viel diskutiert, uns ausgetauscht und sogar “Dialoge am Sterbebett”  improvisiert. Da kam so einiges zusammen! Viele Gedanken, die dann, auf gelbe Kärtchen geschrieben, an der Plakatwand hingen.

Die Semiarleiterin ließ irgendwann ihren Blick über die vielen Stichworte gleiten und las ein paar der Dinge vor, die wir vor unserem letzten Schnaufer unbedingt noch getan haben wollten.

Sie schaute schweigend in die Runde.

Dann schrie sie sie uns  an: “DANN MACHT DAS DOCH!”

Wir zuckten zusammen.
Ja, aber wieso eigentlich? Sie hatte doch recht!

Okay, wenn man damit rechnen darf, dass der Sensemann doch nicht in einem halben Jahr, sondern in einem halben Jahrhundert an die Tür klopft, wird man nicht unbedacht sein Konto plündern und alles Ersparte für eine Weltreise ausgeben. Das ist schon richtig. Aber Keller und Dachboden aufräumen, um sich von allem überflüssigen Ballast zu trennen? Einem  fast vergessenen Menschen endlich mal wieder einen Brief schreiben? Jemandem, wo es lange überfällig war, Danke sagen? Einem Menschen, den man verletzt hat, um Vergebung bitten? Selber Vergebung aussprechen, Frieden schließen? Frieden schließen, – vielleicht auch mit sich selbst?

Und:
Jeden Moment des Lebens intensiv leben, keinen Augenblick verplempern?

Warum nicht jetzt, heute?

Warum damit warten, bis Gevatter Tod die Sense wetzt und es zu spät ist?

Der letzte Tag?


Gestern stieß ich auf einen sehr interessanten Beitrag von Autzeit, der auf Grund einer von Nicole initiierten Blogparade entstand. Autzeit spielt darin in mehreren Szenarien durch, wie ihr letzter Lebenstag aussehen könnte. Vorausgesetzt natürlich, man könnte ihn überhaupt noch bewusst gestalten. Ihr Artikel erschien vorgestern, am 20. Mai 2015.

An diesem Tag starb meine Mutter. Sie starb so, wie sich wohl niemand seinen letzten Tag erträumt. Im Krankenhaus.

Eine Woche zuvor war sie eingeliefert worden, weil sie schon mehrere Tage keine Nahrung mehr zu sich nehmen konnte. Ich besuchte sie am Tag darauf, an Christi Himmelfahrt. Klinikatmosphäre, ein kurzes Gespräch mit der Ärztin. Blutdruck kritisch niedrig, Erbrechen, Nierenversagen, Infusion. „Gibt es einen Patientenverfügung?“ Ja, gibt es: „…fordere ich, dass man mich sterben lässt und keine lebensverlängernden intesiv-medizinischen Behandlungen…“ usw.

Das Sprechen fällt ihr schwer, der Mund ist ausgetrocknet und geschwollen. Aber wir können trotzdem ein wenig miteinander reden. Grüße von der Familie. Die Enkelin hat ein gutes Zeugnis. „Ja, das macht sie ja immer so toll!“

Ich versuche, ein wenig zu erzählen. „Die Rapsfelder blühen. Und der Flieder!“ – „Davon bekomme ich ja jetzt nichts mehr mit.“ Wahrscheinlich auch nichts von den Vögeln, die draußen von dem Fenster zwitschern. Sie ist schwerhörig. Erkundigt sich nach den Geburtstagswünschen meiner Tochter. Ich soll das Geschenk besorgen.

Ob sie selbst noch etwas gebraucht? Ihr Handy. Stift und Schreibblock. Ich hole die Sachen aus dem Seniorenheim. Ich habe bedenken, dass sie das Handy noch richtig bedienen kann und lösche sicherheitshalber alle veralteten Nummern. Glaube auch nicht, dass sie noch eine Zeile zu Papier bringen wird. Sie hatte auch im Alter immer noch eine so saubere und schöne Handschrift gehabt. „Was ist mit dem Rollator?“ – „Der ist noch im Heim. Wenn du hier einen brauchst, dann haben sie hier einen im Krankenhaus.“ Ich bin sicher, dass sie nie wieder aufstehen würde.

„Ich bin so müde.“ – „Das darfst du auch, Mama. Gut, wenn du schlafen kannst.“

„Danke, dass du gekommen bist!“ Und Grüße soll ich bestellen.

Die Enkelin kommt Samstag. Sie hat ein Bild gemalt, „für Oma“ steht drauf. „Schön!“. Aber Oma ist nur kurze Momente wach. Auch am Sonntag hat sie die Augen fast die ganze Zeit geschlossen. Man merkt, dass sie Schmerzen hat, obwohl hochdosierte Mittel durch den Kunsttoffschlauch fließen. Wir sitzen da still da, ich bete das Jesusgebet, das sich unweigerlich an den Rhythmus ihres Atems anpasst. Ich streichle ihr die Hände. Zweimal öffnet sie mühsam die Augen, erkennt uns, schaut uns mit dem liebevollen Ausdruck an, so wie sie uns früher immer angeschaut hat. Der Anflug eines Lächelns.

Ein Kuss auf ihre Stirn: Dankbarkeit für mehr als ein halbes Jahrhundert Liebe, gebündelt in einer einzigen Sekunde.

„Tschüß Mama!“

Kein „bis bald“. Ich lüge nicht.

Mittwoch Morgen war ich mir sicher, dass der Anruf von der Klinik kommen würde. Er kam am Mittag. „…friedlich eingeschafen.“

Eingeschlafen, ohne Kampf, wie ihn ihre eigene Mutter vor 30 Jahren hatte ausfechten müssen. „Es ist gut!“, so schloss ich die Nachrichten, die ich an diesem Nachmittag verschickte.

Gut? Ja. Sie hatte ein langes Leben gehabt. Ein hartes, arbeitsreiches und aufopferungsvolles Leben. Aber ein erfülltes Leben. Wohl ohne einen verplemperten Tag, solange es an ihr selbst lag. Sicher mit Fehlern, vielleicht auch schweren Fehlern. Aber auch die gehören zum Leben. Wir haben uns voneinander verabschiedet, ohne uns Wesentliches, Liebe, Dank oder Vergebung schuldig zu bleiben. Sie durfte gehen. Es war gut!

Wenn bei mir der Sensemann vor der Tür steht, möchte ich dieses Gefühl haben: Es ist gut! Keine Zeit verplempert zu haben. Aber auch nicht Unerreichbarem nachgehastet zu sein. Die letzte Reise möchte ich mit leichtem Gepäck antreten. Ohne Hader, Verbitterung, ohne offene Rechnungen. Aber mit Dankbarkeit. So wie meine Mutter.

Nein, einen Tod im  Krankenhaus wünsche ich mir nicht. Schläuche, das Surren des Sauerstoffgerätes, der letzte Blick an eine kahle Decke…, nein, das natürlich nicht.

Ich möchte, wenn ich wählen könnte, zuhause sein. Es sollte jemand da sein, aber er sollte keine Unruhe verbreiten. Aus dem Fenster würde ich gerne schauen können.

Wir haben etwas Grün vor dem Haus. Schrebergärten, dahinter ein Wäldchen. Die Bäume sind jetzt alle grün, aber in vielen unterschiedlichen Nuancen. Die Kastanie blüht, Flieder auch, der Schneeball.

Ich schaue hinaus. Gänsescharen sind in Richtung Ostsee unterwegs. Immer noch. Ich schaue ihnen hinterher. Öffne das Fenster, um ihre Rufe zu hören.

Jetzt.

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Einen weiteren Impuls zu dem Thema gibt es hier bzw. in einem größeren, etwas anderen Zusammenhang, hier.

Glauben an got


Hier möchte ich einen Beitrag einer jungen Frau rebloggen, der mir wegen der unkonventionellen Denkart gefällt und m. E. eine breitere Leserschaft verdient. Die Autorin ist 18 Jahre alt, Kanner-Autistin und lebt in einer betreuten Wohngemeinschaft.

Frühkindlicher Autist teilt sich mit 🙂

Mein familie ale glauben an got dol. Sontag gehn imer in ein gemeinde und mach gotesdiens da. Einma in woche is hauskreis da singen die auch und esen und ales. Ale glauben wen ein tot is komt in himel und beseres leben da.

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Alternativen zum Main-Stream-Weihnachten? Ein Aufruf zu kulturellem Ungehorsam.


„In der Abteilung geht die Liste für die Weihnachtsfeier rum,“ brummelt meine Liebste. „Ich hab mich noch nicht eingetragen. Vielleicht nehme ich mir da einen Zahnarzttermin.“

„Lieber zum Zahnarzt als mit den Kollegen feiern?“ Das klingt wenig begeistert.

„Ja, ist doch irgendwie verlogen. Das ganze Jahr hetzen sie einen in den Burnout, und nun auf einmal Friede, Freude, Weinachtsstollen! Eigentlich haben fast alle keine Lust. Es traut sich nur keiner, ’nein‘ zu sagen.“

Es ist also wieder soweit. In den Supermärkten liegt schon seit Anfang September Weihnachtsgebäck. Die Einkaufsstraßen sind jetzt auch festlich illuminiert, Weihnachtsmärkte sind eröffnet, die Tageszeitung quillt vor Werbebeilagen über. Feiern in Betrieben, Kindergärten, Vereinen, Bazare in den Kirchengemeinden. Und allenthalben Klagen darüber, dass es zu viel ist, Genörgel über den Konsumrausch, auch das Missfallen über den Weihnachsstress kommt „alle Jahre wieder“.

Ich habe keine Lust, in das allgemeine Lamento einzustimmen, obwohl ich dem gegenwärtigen Rummel auch sehr kritisch gegenüberstehe. Ich will niemandem seine vorweihnachtliche Stimmung verderben, wenn er diese beim Shoppen in der Fußgängerzone oder an Glühweinständen auf dem Rathausplatz findet. Jedem das Seine!

Ich möchte statt dessen den Frustrierten vorschlagen, über Alternativen nachzudenken. Ganz praktisch und ganz einfach. Was kann man anders machen? Was weglassen? Was sind vielleicht auch hilfreiche Traditionen aus der Vergangenheit, auf die man zurückgreifen kann? Man muss ja nicht alles verdammen. Im Gegenteil: Manch altes Brauchtum steht dem modernen Mainstream so entgegen, dass es einem geradezu revolutionär vorkommt, es mal so zu machen.

Manche, die sich jeglicher Weihnachtlichkeit entzogen haben und alles boykottierten, sind am Heiligen Abend in die akute Depri gerutscht, und das muss ja nun auch nicht sein. Es geht also um Alternativen, nicht um Totalverzicht.

Also los:

Vorschlag 1.: Überlegen sie sich, und das am besten gemeinsam mit ihrer Familie oder denen, mit denen Sie zusammen leben, was sie von diesem Fest erwarten. Oder nicht erwarten. Was ist wichtig, was nicht?

Ich vermute, dass viel Frust dadurch zustande kommt, dass Erwachsene Weihnachtsgefühle und -erlebnisse ihrer  Kindheit aufleben lassen möchten, aber nicht realisieren, dass sie in einem neuen Lebensabschnitt angekommen sind und mit anderen Menschen zusammeleben, die ganz andere Erwartungen haben.

Manchmal kann es dagegen gut sein, auf Familientraditionen zurückzugreifen. Man muss das Fest nicht jedes Jahr neu erfinden. Die Erfahrung gibt Sicherheit. Aber man sollte nichts nur deshalb tun, „weil es immer schon so war“. Und erst recht nicht, weil andere es „so“ machen.

Vorschlag 2.: Unterscheiden Sie Advent von Weihnachten. Der Advent ist eigentlich kein nach vorne verlängertes Weihnachten, sondern eine Zeit der inneren Einkehr. Früher wurde sogar gefastet: das Gegenteil von dem, was heute so läuft. Der Grund, nicht zu einer betrieblichen Weihnachtsfeier zu gehen, wäre also, „weil noch nicht Weihnachten ist“. Das kracht natürlich erstmal, wenn man so antwortet. Aber es kann sich dann ja ein Gespräch daraus entwickeln, in dem sich viel von Hoffnungen und Frust erklären lässt.

Weihnachten beginnt mit dem Vorabend (der Vigil) des 25. Dezember und dauert bis zum Fest der „Darstellung des Herrn“ (Dreikönigstag) am 6. Januar.

Vorschlag 3.: Fahren sie im Advent die Aktivitäten herunter. Nehmen sie keine Termine an, die nicht zwingend notwendig sind.

Sparen Sie sich auch Adventsbazare. Lassen sie sich nicht dazu nötigen, dafür etwas zu basteln, zu backen oder dort etwas zu kaufen. Denn bemalte Gläser für Teelichte haben Sie ja wahrscheinlich schon genug. Es sei denn, Sie haben einen ganz bestimmten Bedarf (etwa anch einem Adventsgesteck), den Sie dort decken können. Für den guten Zweck des Bazars können sie auch Spenden, ohne hinzugehen.

Ich selbst umgehe auch die Weihnachstsmärkte in der Innenstadt. Das Angebot dort ist das gleiche wie im letzten Jahr und das kenne ich schon. Ich gehe nur hin, wenn ich etwas ganz Bestimmtes gebrauche, was ich woanders nicht finde. Aber das ist selten. Ansonsten meide ich Lärm und Gedränge.

Vorschlag 4.: Basteln sie keinen Adventskalender. Ich meine diese mit 24 Socken oder Säckchen, in denen irgendwelche Kleinigkeiten drin sind. Und wenn, dann nur für Kinder. Aber auch die sollten warten lernen, bis es Geschenke gibt. Und das Warten-Lernen ist ja der eigentliche, ursprüngliche Zweck von Adventskalendern. Also greifen Sie für Kinder auf jene Adventskalender mit aufklappbaren Bildchen zurück, aber ohne Schokolade (die schmeckt meistens sowieso irgendwie billig). Gestalten sie die Zeit für Kinder mit Geschichten und mit Aufmerksamkeit, die sie ihen schenken.

Vorschlag 5.: Halten sie die Dunkelheit aus. Sie gehört nämlich zur Natur und zur Jahreszeit. Verzichten Sie auf aufwendige Illuminationen in Fenstern, auf Balkons oder im Garten. Ich habe beim Blick in die Nachbarschaft manchmal den Verdacht, dass der üppige Lichterglanz an manchen Gebäuden nur ein Zeichen innerer Dunkelheit der Bewohner ist. Aber das ist jetzt vielleich zu sarkastisch… 😉

Bei uns hängt im Advent ein farbiger Papierstern im Fenster, auf dem Tisch haben wir ein kleines Gesteck und eine Kerze. Das reicht völlig für eine adventliche Stimmung!

Vorschlag 6.: Tun sie das, was sie in dieser Zeit unternehmen, bewusst!

Beispiel Weihnachtspost: Schreiben sie niemandem, weil es „Pflicht“ ist. Das gilt auch für Geschäftsleute. Denken sie daran, was es für den Empfänger bedeutet. „Pflichtpost“ lässt nur den Briefkasten überquellen, und das nervt! Die guten Wünsche von der Apotheke und dem Möbelhaus sagen mir ja nur, dass das Computerprogramm für Serienbriefe funktioniert. Ansonsten ist das Papier- und Portoverschwendung.

Ein liebevoll handgeschriebener Brief an einen Menschen, an den sonst niemand denkt, ist dagegen mit allem Gold der Welt nicht aufzuwiegen!

Ähnliches gilt für das Backen: Tun sie es nur, wenn sie es wirklich gern tun und Muße dazu haben! Wenn nicht, dann kaufen Sie, was sie brauchen. Meinetwegen auch auf dem Weihnachtsmarkt.

Konzerte: Gehen sie nur hin, wenn sie wirklich Freude daran haben und es Ihnen gut tut. Nicht, weil es irgendjemand von Ihnen erwartet.

Vorschlag 7.: Machen sie irgendetwas „anders“. Anders als sonst im Jahr, anders als andere Leute, anders als üblich. Sofern es nicht ohnehin zu Ihren Gewohnheiten gehört, könnte das z. B. eine Zeit der Stille und der Besinnung an jedem Tag des Advent sein. Oder der schon erwähnte Brief an jemanden, der sonst nie einen Brief bekommt. Ein Fastenvorsatz. Oder ein Experiment, auf das nur sie kommen…

Vorschlag 8.: Denken sie kritisch darüber nach, ob und wem sie etwas schenken wollen.

Mir scheint, als nähme die Schenkerei überhand. Nicht nur den finanziellen Aufwand betreffend, sondern auch, was den Kreis der Beschenkten angeht. Wurden früher fast ausschließlich Kinder beschert, so sind es heute offensichtlich auch immer mehr die entfernteren Freunde oder sogar Arbeitskollegen. Das Resultat sind dann der vielbeklagte Weihnachsstess („Ich muss nocht 36 Geschenke besorgen!“) auf der einen Seite und mit Schnickschnack vollgestopfte Schränke auf der anderen Seite. Was ich im letzten Jahr alles an Dankeschön-Nippes, Kerzen, schal gewordenem Wein und nie benutzem Krimskrams aus der Wohnung meiner Eltern entsorgen musste, war unbeschreiblich!

Vorschlag 9.: Verzichten Sie auf einen Weihnachtsbaum. Der Anbau in Monokulturen schadet mit seinem Einsatz an Düngemitteln und Pestiziden der Umwelt. Und das Fällen eines Baumes als Deko für ein paar Tage ist eine Verschwendung von Leben!

Als ich 14 oder so war, sind meine Eltern von einem Baum auf ein etwas größeres Gesteck in einer Vase umgestiegen. Dazu musste nicht das ganze Wohnzimmer umgeräumt werden. Der Stimmung tat das nicht den geringsten Abbruch! Im Gegenteil: Viel Unruhe, die mit Baumbeschaffen, -aufbauen und -schmücken verbunden war, fiel weg.

Vorschlag 10.: Eigentlich der entscheidende Vorschlag:

Feiern sie nicht einfach „Weihnachten“, sondern die Geburt Christi!

Z. b., in dem sie eine Weihnachtskrippe zum optischen Zentrum ihres Zimmers machen. (Wenn Sie keine Krippenfiguren haben, lohnt sich dafür vieleleicht doch ein Besuch auf dem Weihnachtsmarkt!)

Nehmen Sie sich an allen Weihnachtstagen gemeinsam Zeit für eine häusliche Andacht, für Gebet und dem Lesen der Geburtsgeschichte aus der Bibel (Lukas 2, 1-20; Matthäus 1, 18 – 2, 12 oder, – ganz anders! – Johannes 1, 1 – 14). Das wirkt auf den ersten Blick pietistisch altbacken, ist in unserer säkularen Welt aber revolutionär. Wie Weihnachten zur Zeit des römischen Kaiseres Caracalla. Damals hatte der Kirchenvater Hippolytos die Christen seines Bistums aufgerufen, das staatliche Fest des Sonnengottes Sol invictus zu boykottieren. Und dafür denjenigen zu feiern, der für Christen das Licht der Welt ist.

Denken Sie darüber nach, was ihnen das bedeutet. Oder auch nicht bedeutet. Oder was Sie daran befremdet. Reden Sie darüber in der Familie, unter Feunden.

Verzichten sie dafür auf jene rührselig-kitschigen Geschichten, die bei manchen Weihnachtsfeiern gerne vorgelesen werden und deren Süßlichkeit den wahren Anlass des Festes begräbt wie der Puderzucker den Stollen.

Und boykottieren Sie alles, was mit dem „Weihnachtsmann“ zu tun hat. Denn dieser ist eine Karrikatur Gottes: ein gutmütiger – früher auch strafender – Wunscherfüller mit Rauschebart und Wohnsitz im Himmel, an den zu glauben man aufhört, sobald man aufgeklärt genug ist. Nach meiner Erfahrung als Vater tut es dem „Knistern“ bei der Bescherung der Kinder nicht den geringsten Abbruch, wenn kein Weinachtsmann im Spiele ist.

Nehmen Sie an den Gottesdiensten in ihrer Kirchengemeinde teil. Aber erwarten sie von der Christmette am Heiligen Abend nicht zu viel: Dort ist es oft voll und laut. Da gehen viele Leute hin, nur weil es „üblich“ ist oder „irgendwie dazugehört“ und weil sie es mögen, wenn bei „Stille Nacht, heilige Nacht“ die Lichter ausgehen. Aber am ersten und zweiten Festtag ist es wesentlich ruhiger.

In diesem Sinne: Einen besinnlichen Advent und ein gesegnetes Christfest!

Gott schuf nicht den Lärm. Zur Werbekampagne eines Popmusiksenders.


Werbung berührt mich wenig. Natürlich sehe ich Plakate an Litfaßsäulen, an Bushaltestellen und auf Bahnhöfen. Manchmal, wenn ich auf den Zug warten muss, analysiere ich Bildaufbau und die verwendete Symbolsprache. Im Hinblick auf die dort verkörperten Werte denke ich: Nicht meine Welt. Das tangiert mich alles nicht. Es rauscht auch vieles an mir vorbei. Sogar die nur mit einer Netzstrumpfhose bekleidete Schöne auf dem Plakat einer Modekette entging meiner Aufmerksamkeit, bis mich jemand darauf ansprach. Die Nacktheit der Dame regte mich nicht auf, weder als Mann mit Blick für das schöne Geschlecht noch als Christ mit Achtung vor der Würde der Frau. Es ist eben eine fremde Welt, es berührt mich wenig.

Als ich gestern mit dem Bus durch die Stadt fuhr, sah ich jedoch Plakate, die mich aufmerken ließen. Sie zeigten ein kitschiges Jesusbild im Nazoräerstil mit der Aufschrift:

Und Gott sprach: „Es werde laut!“

Für alles, was dir heilig ist.

Dann der Hinweis auf einen privaten Radiosender mit der Behauptung, der einzige mit guter Musik zu sein. Ein Widerspruch in sich: Ein Sender für das, was mir heilig ist, aber Gott selbst ist nicht mehr heilig. Man darf ihm jeden Nonsense in den Mund legen. Gott wird zu einer Figur wie der Weihnachtsmann oder Rotkäppchen. Dass er nicht existent ist, wird als Konsens vorausgesetzt. Das Attribut „heilig“ wird sinnentleert. Ob die Werbetexter das Groteske ihres an sich trivialen Plakates bemerkt haben? Ich vermute: nein.

Die Stadt, in der ich lebe, war die erste in Westdeutschland, in der die Christen gegenüber den Ungläubigen und religiös Gleichgültigen in die Minderheit geriet. Alltagsatheismus ist mir also nicht neu. Auch, dass man sich über Kirchen und ihre Amtsträger belustigt, bin ich gewöhnt. Als jemand, der das Neue Testament gelesen hat, wundert mich das nicht einmal. Und sie, die Kirchen, haben ja auch selbst gut dazu beigetragen.

Was ich für eine neue Dimension halte, ist, dass Gott selbst und der antiquiert-süßlich abgebildete Jesus als werbetechnisch verfügbar, weil irreal, betrachtet werden. Das letzte Tabu (polynesich für „heilig“) ist gebrochen.

Eine schmerzhafte Erkenntnis. Aber heilsam, wenn man es begreift.  Sie zwingt zur Standortbestimmung: Wir leben jenseits eines christlichen Abendlandes. Sofern es so etwas überhaupt jemals gegeben hat.

Was tun?

Auf Internetforen werden verletzliche Gemüter vermutlich wieder fragen, ob man solche Werbekampagnen verbieten lassen und ihre Urheber anzeigen kann. Ich halte das für Unfug. Aufgeregtes Hühnergegacker wirkt nur lächerlich. Gleiches gilt für einen Hagel von Protestschreiben. Auch ein Boykottaufruf wäre albern. Der Sender bedient ohnehin kirchenferne Millieus (prekäres und hedonistisches Millieu), ein Boykott von Christen spielt da gar keine Rolle. Für jenen Radiosender wäre ein öffentlicher Aufruhr einiger Frommer nur willkommene Publicity.

Das Plakat ist nicht nur wegen der Verkehrung des begriffes „heilig“ grotesk, sondern weil es das Wesen Gottes umkehrt. Wen Gott berühren wollte, den führte er nicht in den Lärm, sondern in die Stille. Oft auch in die Wüste.

Gott selbst schweigt. Auch zu diesem Plakat. Für mich schweigt Gott bedrohlich laut.

Letztens schrieb ich, „Lasst uns über Gott reden lernen!“ Das heißt auch, die Sache mit dem Schweigen zu lernen. Nicht etwa Gott zu verschweigen, sondern über Gott als einen Unbegreifbaren zu reden. Als einen, der nicht verfügbar ist: nicht für unsere Phantasie, nicht für die Theologie und erst recht nicht für den Kommerz. Dem wir aber trotzdem begegnen können. Z. B. in dem wir den Lärm – auch den der Popmusik – mal hinter uns lassen und in die Stille gehen. An Orten und Zeiten, die uns heilig sind.

Und das sollte man uns anmerken.

 

Lasst uns über Gott reden lernen!


„Wenn du nach dem Preis des Brotes fragst, antwortet man dir, der Vater ist größer als der Sohn und der Sohn dem Vater untergeordnet. Wenn du fragst, ob das Bad schon hergerichtet ist, antwortet man dir, der Sohn ist aus dem Nichts geschaffen.“

Gregor von Nyssa

Fundamentaltheologische Diskussionen im Bäckerladen und in der Badeanstalt, – zur Zeit Gregors (4. Jhdt.) offensichtlich selbstverständlich. Kein Wunder, möchte man meinen, damals wurde eben heftig über die Trinitätslehre debattiert. Die Christen mussen in der Vielzahl theologischer Ansichten und religiöser Splittergruppen ihren Weg erst  finden. Dabei half der offene Dialog, die Kontroverse. Und das geschah nicht nur auf den Bischofskonzilien, sondern auch im Alltag.

Heute ist das anders geworden. Reden über Religion gilt als peinlich. Wenn überhaupt, dann findet es in irgendwelchen Nischen statt, in Hauskreisen, Bibelgruppen, oder, wenn es hoch kommt, auf Kirchentagen. Aber Alltag ist das nicht. Entsprechend gering ist die Fähigkeit, überhaupt Glaubensinhalte in Worte zu fassen. Zu Pfingsten bat ein Reporter einer Kirchenzeitung bei uns die Kirchgänger, in wenigen Sätzen zu sagen, was der Heilige Geist sei. Das Ergebnis war irgendwo zwischen peinlich und niederschmetternd. Einige konnten trinitarische Bekenntnisformeln repetieren, aber nur ein einziger hatte eine Vorstellung vom Heiligen Geist.

Dabei ist die religiöse Landschaft heutzutage ähnlich vielfältig wir zur Zeit Gregors von Nyssa. Das Abendland ist längst nicht mehr nur christlich (sofern es das jemals war). Juden leben nicht mehr in Ghettos, Muslime bauen Moscheen, Hippies brachten in den 70ern hinduistisches Gedankengut aus Indien mit, Zen wird an Volkshochschulen gelehrt, der Dalai Lama gilt auch hier als Weiser, Popularesoterik ist allgegenwärtig. Aber die Fähigkeit zum religösen Dialog fehlt bei vielen. Und das  nicht nur bei den in Glaubenssachen Gleichgültigen.

Einer Laune folgend gab ich „Christentum“ in das Suchfenster bei Facebook, landete bei einer Gruppe mit dem Namen „Christentum verstehen“ und stöberte dort ein bischen herum. Ich denke, gerade Webforen bieten, weil etwas abseits des unmittelbaren Lebensumfeldes, eine gute Chance zum ungezwungenen Austausch. Dabei störte es mich nicht, dass diese Facebook-Gruppe offensichtlich von missionseifrigen Muslimen gegründet worden war. Traurig war ich über die Art und Weise der Diskussionen. Die Muslime, die sich dort betätigten, verbreiteten dort antichristliche Propaganda, die sie irgendwo im Internet zusammengeklaubt hatten. Es war nur wenig wirkliche Reflektion erkennbar. Als ich einen, der eifrig über Paulus räsonierte, fragte, welche neutestamentlichen Schriften er selbst gelesen hatte, blieb er mir die Antwort schuldig. Er hatte alles nur aus zweiter oder dritter Hand.

Um die Christen in der Runde stand es nicht besser.

„Jesus ist Gott “ alles andere ist eine Lüge die euch ins verderben bringt !!! Die Bibel ist Gottes Wort !!!

schrieb jemand, ohne sich die Mühe zu machen, seinen Glauben zu erklären. Ein anderer bewies dagegen ein gerüttelt Maß an theologischer und philosophischer Bildung, überforderte seine Leser aber mit ellenlangen detaillierten Abhandlungen in einem Seminarstil, den ein Andersgläubiger niemals hätte nachvollziehen können. Die Diskussion entgleiste immer dann, wenn jemand meinte, sein Gegenüber über dessen Religion informieren zu müssen, statt die eigenen Überzeugungen zu erklären.

Die Unfähigkeit zu religiöser Rede ist nicht neu. Während im vierten Jahrhundert, wie Gregor beschreibt, theologische Inhalte noch Tagesgespräch waren, so ist 300 Jahre später z. B. auf der Arabischen Halbinsel nur noch wenig angekommen. Nach den Zeugnissen des Koran scheint Mohammed vom Christentum nur die Geburtsgeschichte Jesu nach Lukas und einige fromme Legenden, darunter das Kindheitsevangelium nach Thomas (eine damals populäre apokryphe Trivialschrift) gekannt zu haben, jedoch nichts von der Bergpredigt oder dem Evangelium vom Reich Gottes oder sonst irgendein Jesuswort. Dabei hatte Mohammed Umgang mit Christen, darunter eine seiner Frauen. Offensichtlich wussten sie wenig. Die Konsequenz war ein verzerrtes Bild vom Christentum, dass in jener Form zwangsläufig von Mohammed und seinen Anhängern abgelehnt werden musste.

Und wir? Können wir unseren Glauben Andersgläubigen darlegen? Vielleicht dann, wenn wir eine Jüngerschaftsschule besucht oder eine Ausbildung als Katechet absolviert haben. Ich habe es jedenfalls nicht gelernt. Dabei wäre es wichtig!

Lasst uns wieder anfangen, über Gott zu reden! Wenn wir es nicht können, lasst es uns lernen!

Moby-Dick im Himmel.


Ich beneide Geschichtenerzähler. Jene Leute, die das Talent haben, aus irgendeiner Banalität ein Drama in drei Akten zu machen. Selbst gehöre ich zum Geschlecht der Einsilbigen, die denken, sie müssten für jedes gesprochene Wort Telegrammgebühren bezahlen. Außerdem ist mein biederes Kleinbürgerdasein recht arm an spannenden Erlebnissen. Da bin ich immer dankbar für Menschen, die mir irgendwelchen Gesprächsstoff liefern.

Zum Beispiel für Heidi. Vor einigen Jahren besuchten wir zusammen einen Computerkurs. Heidi arbeitet am Institut für Meereskunde und fährt auch auf Forschungsschiffen mit. Wie alles Schiffsvolk steckt sie voller Döntjes. Seekranke Studenten kann Heidi so gut nachmachen, dass einem ganz flau im Magen wird: „Die werden echt grün…“. Einmal erzählte sie freudestrahlend von einer Fangfahrt im Kattegatt und kramte Seeigelgehäuse aus dem Rucksack, um sie an uns Mitschüler zu verschenken. „Echinus esculentus“, dozierte Heidi, „der essbare Seeigel“. Wie die essbaren Seeigel denn zubereitet werden, wollten wir wissen. „Da löffelt man so roh die Gonaden…“

Ein anderes Mal brachte sie einen Stapel Fotos von einem toten Schweinswal mit. Er war offensichtlich in ein Stellnetz geraten. Bei dem Versuch, freizukommen, hatte er sich nur noch schlimmer verfangen und dabei schwer verletzt. Eine tief klaffende Wunde an der Kehle zeugte vom Todeskampf des Tieres. Ein Seenotrettungskreuzer hatte den umher treibenden Kadaver gesichert und zu Untersuchungszwecken an das Forschungsschiff übergeben.

Wir sahen, wie der kleine Wal mit der Winsch an Bord gehievt wurde, wie er in einer Blutlache an Deck lag und wie er schließlich in blaue Müllsäcke verpackt und in die Tiefkühltruhe verfrachtet wurde. Cathy wurde blass um die Nase und guckte lieber in die andere Richtung. Aber ich schnorrte Heidi eines von den weniger makaberen Bildern dieser unappetitlichen Serie ab. Da hatte ich mal wieder ein Thema, über das ich mich mit meiner damals sechsjährigen Tochter unterhalten konnte.

Am nächsten Tag erzählte ich ihr die Geschichte vom tragischen Ende des Schweinswals und fragte, ob sie das Foto sehen wolle. Ja, das wollte sie. Schließlich interessiert sie sich sehr für Tiere. So betrachteten wir nun aufmerksam den stromlinienförmigen Körper mit dem schiefergrauen Rücken, der kleinen Finne, der eleganten Schwanzflosse, dem silberweißen Bauch und dem Maul, das ein wenig zu lächeln schien.

Natürlich entging ihr nicht das Blut, das zwischen den Gummistiefeln der Seeleute hindurch über die Decksplanken rann. Obwohl das Bild den Wal von seiner Schokoladenseite zeigte, war auch die Wunde im Bereich der Kehle nicht zu übersehen.

„Ist er da schon richtig tot?“ fragt Hanna.

Ja, sage ich, er ist schon tot gefunden worden. „Da haben wohl sogar schon Möwen dran herumgepickt.“ Nichts mehr zu retten.

„Dann ist er jetzt bei Gott!“ konstatiert meine Tochter.

Überrascht von der plötzlichen Wendung des maritimen Dramas stimme ich ihr zu. Schließlich hatte ich ihr selbst immer von der Auferstehung geredet, wenn wir zerfledderte Möwenleichen am Strand oder plattgefahrene Igel am Straßenrand fanden.

Heißt es doch bei Paulus: „Auch die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, dass die gesamte Schöpfung bis zum heutigen Tag seufzt und in Geburtswehen liegt.“ (Römerbrief 8, 21-22. Wohlgemerkt: Paulus schreibt „Geburtswehen“ und nicht „Todeszuckungen“.) Warum sollte das nicht auch für diesen kleinen Zahnwal gelten, der das Opfer des modernen Fischfangs mit fast unsichtbaren Netzen wurde?!

„Gibt es denn noch genug von den Walen?“ will Hanna nun wissen. Als wir einmal gebratenen Hasen auf dem Tisch hatten, konnte ich bei einer ähnlichen Frage guten Gewissens auf die voll besetzten Kaninchenställe in Opas Garten verweisen. Doch nun muss ich ihr klaren Wein einschenken. Die Bestände an Schweinswalen gehen zurück. Hauptgrund: die Tiere verfangen sich in Fischernetzen und kommen dort um, weil sie nicht mehr auftauchen können, um zu atmen. Andere Walarten seien durch den ungezügelten Walfang an den Rand der Ausrottung gebracht worden, schildere ich meiner Tochter.

Die Fragerei geht weiter. „Wenn ein Wal gejagt wird, wird er dann immer getötet?“

„Nun, wenn sie merken, dass die Walfänger hinter ihnen her sind, versuchen sie natürlich zu entkommen. Finnwale sind zum Beispiel ziemlich schnell und können meistens flüchten…“ Aber ich bin unzufrieden. Mir dämmert, dass nun nicht Details aus der Meeresbiologie gefragt sind, sondern eine Geschichte.

Das Privileg des Geschichtenerzählers ist es, nicht vor der sogenannten „Realität“ kapitulieren zu müssen, selbst wenn diese aus Harpunenkanonen und Fabrikschiffen besteht.

„Viele Wale haben auch um ihr Leben gekämpft.“ fahre ich fort. „Da gab es einmal einen Pottwal, den nannten sie Moby-Dick…“

Da lasse ich sie also gegeneinander antreten: den mit Harpunen gespickten, aber unbesiegbaren weißen Wal und den von Rachegefühlen getriebenen Kapitän Ahab aus Herman Melvilles meisterhaftem Roman. Jedem, der diese herrliche, bei aller klassischen Tragik wunderbar humorvolle Erzählung nicht kennt, sei die Lektüre einer ungekürzten Ausgabe des „Moby-Dick“ wärmstens empfohlen. Ausgehend von wahren Begebenheiten erzählt Melville nicht nur eine abenteuerliche Seefahrergeschichte, sondern eine tief philosophische Parabel über den Kampf zwischen Mensch und ungebändigter Natur. Für Hanna fasse ich das 913-seitige Epos – maulfaul, wie ich nun mal bin – in 913 Sekunden zusammen, wobei viel „Whale hoo…“ und „da bläääst er!“ durch unser sonst so beschauliches Wohnzimmer dröhnt.

Nachdem Moby-Dick schließlich das letzte Fangboot mit seiner gewaltigen Fluke zerschmettert hat und die Wogen des Pazifiks über den Toppen der „Pequod“ zusammengeschlagen sind, fragt Hanna, wie es denn mit dem weißen Wal weiter gegangen sei.

„Der ist dann nach vielen Jahren gestorben. Das ist ja schon über hundert Jahre her…“

„Dann ist er jetzt bei Gott!“

Der Leviathan, dieses Meeresungeheuer im Himmel? Ich stutze.

Doch, na klar! Schließlich habe ich ihr den Wal nicht als den Chaosdrachen der altorientalischen Mythologie, sondern als geschundene Kreatur mit gottgegebenem Recht auf Leben vorgestellt.
Und das hat sie verinnerlicht.

Das ist nun schon ein paar Jahre her. In die Freundschaftsbücher ihrer Klassenkameradinnen schrieb sie damals als Berufswunsch „Naturforscherin“ und „Ich bin Fan von:…Moby-Dick“, obwohl da wohl mehr nach Popstars gefragt war.

Und ich habe damals begriffen, welche Kraft im Glauben an die Auferstehung steckt.

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Spero – Peregrina


Spero -Peregrina

Das kurze, eigene Weblog der in der christlichen Forenszene legendären Forenschreiberin Spero – Peregrina. Sie war eine hoffnungsfroche Christin und eine wunderbare Lehrerin der ars morendi.

http://peregrina.blog.de
Bild nach Speros Avatar, mit freundlicher Erlaubnis von Bruder Bernd OFS.